TRAUMA AUFSTELLUNGEN

Baummetapher und die Aufstellungsarbeit mit Traumata

 

Die Ursache von Traumata*, sowie deren sowohl  offensichtlich in Erscheinung getretene  Folgen (z.B. psychosomatischen Auswirkungen), als auch weit weniger offensichtlich in Erscheinung getretene Folgen (Das im Leben nicht Stattfindende, bzw. Stattgefundene) verhalten sich zueinander wie die  Baumwurzeln zu der Baumkrone ( Abbildung Trauma und seine Folgen).

 

Psychosomatische Auswirkungen z.B. sind als jene, offensichtlich in Erscheinung getretene Folgen anzusehen, die auf  Traumata aus dem biographisch Erlebten, sowie auf die traumatischen Erlebnisse der Ahnen zurückzuführen sind, deren Energie im Familiensystem weiter wirkt.

 

Die Folgen psychosomatischer Auswirkungen sind sozusagen greifbar gewordene Erscheinungen. Krankheiten wie Krebs, Organerkrankung, mentale Krankheiten oder Störungen wie Schizophrenie, Maniodepresivität, Überflutung von tiefer Trauer oder Chaos sind ja offensichtliche Phänomene. Genauso ist es mit  Abhängigkeiten, Süchten, Selbstdestruktivität, suizidalen Tendenzen apod.

 

Es gibt allerdings auch Folgen von Traumata die nicht so offensichtlich oder direkt greifbar sind. Diese offenbaren sich eher darin, was im Leben (der sonst nach Aussen ganz normal, oder sogar erfolgreich verlaufen bzw. erscheinen mag) nicht stattfindet. Beziehungen die aus unerklärbaren Gründen nie eine Erfüllung bringen, oder gar nicht stattfinden, ausbleibende Lebensfreude, Leben auf der Sparflamme, in dem sich das ganze menschliche Potential nie entfaltet, Das Fehlen eines tieferen Erfülltseins – das sind Folgen, die darauf  hindeuten, was sich  im Leben entzieht.

 

Das was sich entzieht, entzieht sich vor allem dem Zugriff des Bewusstseins. Daher haben die Menschen die Tendenz, diese Traumafolgen (wie oben erwähnt), welche einen flächendeckenden Einfluss auf ihr Leben haben, jenen Umständen, oder Ursachen zuschreiben, die ihnen bewusst sind, während diese Traumafolgen wohl eher ein Produkt von traumatischen Ereignissen und Beziehungen sind, die ihnen kaum bewusst sind. Das, was sich uns entzieht, zieht uns mit, ob wir es merken oder überhaupt nicht, sagt Martin Heidegger.

 

Der Mensch ist seelisch ein Mehrgenerationswesen, das zumindest vier Generationen umfasst.  – lautet die Formulierung von Prof. Franz Ruppert. Es handelt sich um Formulierung jenes Phänomens, das vor allem durch die Arbeit von Bert Hellinger breit bekannt wurde, sosehr dieses Phänomen im anderen kulturellen und methodologischen Rahmen ebenfalls bekannt war (an dieser Stelle sei auch ein diesbezüglicher Satz von C.G. Jung erwähnt: „Kinder leben die unbewussten Neigungen der Eltern aus“.)  Dadurch bekommt allerdings das, was sich uns entzieht, eine ganz andere Dimension, bzw. Umfang (Abbildung Aufgehobensein** des Eizelenen im Familiensystem).

 

Die Baumwurzel (als Symbol für Herkunft verschiedener traumatischer Einflüsse im menschlichen Leben) ist nur indirekt - über ihre offensichtlichen, wie weniger offensichtlichen Folgen fassbar.

 

Eben an dieser Stelle zeigt sich auch der Unterschied zwischen dem Ansatz der Familienaufstellungen und den Traumaaufstellungen.

 

Familienaufstellungen helfen - so zumindest die ganz allgemeine Auffassung - den entsprechenden Platz des Einzelnen innerhalb des Beziehungssystems der Familie zu finden (abgeleitet von diesem Modell kann das ebenso gut der Platz in einer Partnerschaft oder einer hierarchischen Firmenstruktur u.ä. sein). Sie konzentrieren sich in ihrer hauptsächlichen und ursprünglichen Ausrichtung auf die Wiederherstellung der Ordnung im Familiensystem. Diese Ordnung soll so zur Quelle von Kraft und psychischer Stabilität des Einzelnen werden, seine Verankerung und sein Funktionieren im Leben ermöglichen.

 

Wenn es jedoch im Familiensystem schwerwiegende Traumata gibt, dann verfehlen die Versuche, inneres Gleichgewicht und Kraft mittels „Wiederherstellung“ der Ordnung in diesem Familiensystem zu finden, nicht selten ihre Wirkung. Ein Familiensystem mit schwerwiegenden Traumata und damit auch mit gestörten Beziehungsbindungen ist dann nämlich keine Quelle für Kraft und Stabilität des Einzelnen, sondern es wird ganz im Gegenteil zur Quelle weiterer Traumatisierung und Instabilität ihrer Mitglieder. (Bindungssystemtrauma nach Prof. Franz Ruppert).

 

Traumaaufstellungen zielen im Unterschied zu den Familienaufstellungen weniger auf die Ordnung ab, als viel mehr auf die Traumata im gegebenen Familiensystem und die, daraus resultierenden Aufspaltungen der Psyche seiner Mitglieder. Eine Aufspaltung innerhalb der Psyche als Folge einer traumatischen Erfahrung lässt sich nicht einfach durch das Auffinden der äusseren Ordnung im Familiensystem integrieren. Denn schliesslich befindet sich das gegebene Familiensystem  gerade wegen dieser inneren Aufspaltung der einzelnen Familienmitglieder im Zustand einer permanenten „Un-Ordnung“ oder auch „Pseudo-Ordnung“.

 

In solch einem System, in dem kaum Raum ist  für die  Bedürfnisse des Kindes und seine Eigenheiten, hat das Kind keine andere Wahl, als seine Bedürfnisse nach Nähe und positiver Symbiose mit Mutter (sowie eigener Entwicklung) zu unterdrücken, sie abzuspalten und sich in negative Symbiose  zu verstricken. Das Kind wird unbewusst zum Träger der Last und Traumata für die Eltern (besonders für die Mutter), und deren Beziehung. Es verstrickt sich darin und verliert dabei gleichermassen. Das ist allerdings oft die einzige Möglichkeit, eine symbiotische Bindung zu etablieren, wenngleich  eine negative. Diese Überlebensstrategie erfolgt unbewusst. Die Leere vermag das Kind nicht zu ertragen.

 

Es geht also  um konkrete Gestaltung der Bindung zu beiden Elternteilen, doch auch die Atmosphäre in der Familie schafft ihre eigene Prägung, wobei das Unausgesprochene und schwer zu Fassende das prägendste Ereignis sein mag, das in seiner Wirkung alle andere Ereignisse  in den Schatten stellen kann. In dieser Atmosphäre können sich ausser Familiengeheimnissen auch gesellschaftlich – politische Einflüsse niederschlagen. In totalitären Gessellschaften des 20. Jahrhunderts (und nicht nur in diesen) hatte dies ein nicht zu unterschätzendes Gewicht.

 

Das Vorgehen in den Traumaaufstellungen zielt also unter anderem darauf ab, einen Raum ausserhalb der Verstrickung zu finden, in dem  man erst zu sich selber – zu seinen abgespaltenen Anteilen kommt. Der Weg zu der Integration und Klarheit führt zuerst aus der Verstrickung mit dem Familiensystem heraus. Er führt zu der Etablierung eines eigenen Raumes ausserhalb der Reichweite des, unter gegebenen Umständen traumatisierenden Familiensystems. Mit der Ablehnung des Familiensystems hat das nichts zu tun, mit dessen blinder Annahme wohl auch nicht. Es ist eine dritte Kategorie.

 

Spaltung und Verstrickung in negative Symbiose sind in diesem Kontext zwei, sich ergänzenden Prozesse, die daher bei einer Traumaaufstellung gleichzeitig zu beachten sind.

 

Bleibt die Ursache des Traumas, oder Verstrickung in negative Symbiose unberührt, kann man lange und immer wieder von vorn mit den Lebensthemen arbeiten, in denen sich die Traumafolgen flächendeckend widerspiegeln (wie Partnerbeziehungen, Beziehung zu den Kindern, finanzielle Angelegenheiten, Beziehungen in der Firma und nicht zuletzt auch psychosomatische Symptome und Krankheiten). Gewiss gerät immer etwas in Bewegung, trotzdem werden die Folgen der Traumata immer wieder in sich verändernden Formen aus einer tieferen Ebene, die bisher nicht erfasst gewesen ist, heraus auftauchen, und auf alle Lebensthemen Einfluss nehmen.

 

Die Ordnung im Familiensystem beginnt sich erst mit der direkten Arbeit mit den Traumata allmählich natürlich herauszukristallisieren, wobei nicht nur die Traumata an sich, sondern ebenfalls  die Art, wie diese einen geprägt haben, von Bedeutung ist.

 

Die Traumafolgen spiegeln sich – wie gesagt – flächendeckend in  allen Gebieten des Lebens eines Individuums wider. Dem Trauma muss in seiner ganzen Komplexität, bis hin zum Ursprung seiner Entstehung, sei es nun zum biografischen Ursprung, oder zum Mehrgenerationsursprung, nachgegangen werden, damit seine Folgen (Abspaltung, Verstrickung in negative Symbiose,  Eingefrorensein von Empfindungen, Emotionen, Wut, Angst, psychischer Lähmung, Verwirrung u.ä.)  sich allmählich auflösen, und die abgespaltenen, verdrängten Teile der Psyche sich in allen Schichten integrieren, miteinander verbinden. Hier kommt man notgedrungen auch zu den Muskelpanzerungen im Körper, wo all diese abgespaltenen Emotionen gehalten werden. Bereits Wilhelm Reich hat dies erkannt, und einen entsprechend Ansatz entwickelt, der nichts an Aktualität verloren hat, und von vielen weiterentwickelt wurde. Dieser Ansatz  spielt an bestimmten Punkten der Arbeit mit Trauma eine besondere Rolle.

 

Abgespaltene Anteile der Seele (d.h. Anteile, die durch das Trauma ins Unbewusste verdrängt worden sind), können dank der Spiegelung traumatisierender Ereignisse, oder Beziehungen in den Traumaaufstellungen wieder zueinander finden, zu Ganzheit werden. Die Seele kann sich erst in ihrer  Ganzheit, (kaum in ihrem fragmentierten Zustand in dem sie sich nach der Aufspaltung befindet)  in den Diensten des Lebens wieder in Bewegung setzen. Dieses „Wieder-In-Bewegung-Versetzen“ ist die Essenz der Aufstellungsarbeit mit Traumata.


 

* Der Begriff von Traumata umfasst hier alle Erscheinungen im menschlichen Dasein, die als Folge der Aufspaltung (Dissoziation)  in der Psyche auftreten. Aufspaltung, als Überlebensstrategie der Psyche geschieht automatisch immer dann, wenn  die Bewältigung einer Situation über die Kräfte des Menschen in allgemeinen, und die eines Kindes in speziellen hinausgeht. Sofern verlässt hier der Begriff  definitiv die Enge seiner klinischen Auffassung.

 

** „Aufgehobensein“  als Eingebudensein des Einzelnen in das Familiensystem einerseits, sowie  auch als Aufhebung der Eigenständigkeit des Einzelnen durch das Wirken des Familiensystems anderseits.